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Montag, 23. Januar 2012

DIE MUSE (Deutschland/Österreich, 2011)


Als „Musen“ werden Personen bezeichnet, die andere Menschen, vor allem Künstler, zu besonderen Werken oder Leistungen antreiben.
Ihr Leben dient diesen als Inspirationsquelle.



In „Die Muse“, der ersten Spielfilmarbeit des Salzburgers Christan Genzel, lernen wir zu Beginn den Schriftsteller Fischer (Thomas Limpinsel, „Satte Farben vor Schwarz“) kennen - ein Mann, äußerlich absolut gewöhnlich, unauffällig.
Eine Szenenmontage führt uns allerdings vor, welches finstere Vorhaben er in seinem Kopf mit sich trägt:
Sein Ziel ist es, die junge Katja (Henriette Müller, „Berlin Calling“) zu entführen...nein, sie einzuladen, ein Teil seines neuen Romans zu werden.
Freiwillig unfreiwillig, sozusagen.

Die Frau findet sich schließlich in einer tristen Zelle im Keller Fischers wieder – vor den Gittern ein Tisch, darauf eine Schreibmaschine.
Ihre verständliche, erste Frage: „Warum ausgerechnet ich?“
Obwohl ihr der Entführer durchaus freundlich gegenübertritt, bietet er ihr zunächst nur die schwammige Antwort an, dass er sie für seine Arbeit brauche.
Was er genau in ihr sieht, das trägt er verborgen in sich.

Katja versucht zu fliehen, sich zur Wehr zu setzen – bis sie letztlich erkennen muss, dass sie mit diesem defensiven Verhalten gegen eine Wand rennt.
Fischer hat alle Eventualitäten genauestens durchdacht – die einzige Chance, gegen ihn anzukommen, besteht darin, zu ihm durchzudringen.
Seine persönliche Schwachstelle ausfindig zu machen...

„Die Muse“, eine deutsch-österreichische Ko-Produktion, beginnt als kammerspielartiger Thriller, der in etwa so funktioniert, als wären in Rob Reiners Stephen King-Adaption „Misery“ (1990) die Rollen vertauscht worden:
Der Schriftsteller ist nicht mehr das Opfer eines psychotischen Fans, welcher mit aller Macht versucht, das ungeliebte Werk zu sabotieren, sondern selbst derjenige, der einen Menschen ausnutzt, um seine eigene, mangelnde Kreativität zu kompensieren.

Beide Sichtweisen sind interessant, zeigen sie uns doch zusammengenommen den schmalen Grad auf, zwischen dem die Kunstschaffenden stets pendeln – dem Versuch, die Realität möglichst authentisch abzubilden – auch wenn in diesem Zusammenhang vielleicht ein dramatisches, wahres Ereignis zugunsten eines unterhaltsamen Formates „geplündert“ wird -, und dem Widerstreben, sich dem Druck und den Wünschen der Geldgeber und Rezipienten, dem Kommerz, zu beugen.

Schwierig ist es, den richtigen Ton für den Start einer solchen Geschichte zu finden.
Es gibt wenig Raum, wenige Charaktere („Die Muse“ beschränkt sich weitgehend auf seine zwei Hauptfiguren).
Und außerdem gewisse, notwendige Konventionen, bei welchen sich die Verantwortlichen mit Sicherheit selbst im Klaren darüber sind, dass sie mit diesen beim Publikum wenig Begeisterung ernten werden. Sie lassen sich nur leider kaum anders darstellen:
Wenn Katja in ihrer Gefangenschaft erwacht, schreit sie um Hilfe, versucht aus ihrer Zelle zu entkommen und ihren „Peiniger“ zu überwältigen. Wir haben das schon in anderen Filmen gesehen, es hat nie funktioniert.

Aber was soll sie sonst tun?
Was würden wir tun, wenn wir nicht in unseren Sesseln sitzen und das Szenario aus sicherer Distanz betrachten würden? Die Gitterstäbe durchkauen? Uns durch den Boden buddeln? Aus Staub und Spucke Sprengstoff basteln? Eher nein.

Wir wären vermutlich genauso aufgeschmissen wie die junge Frau.

Interessanter als das Thriller-Grundgerüst, ist in dem Werk noch der Aspekt des Schaffensprozesses.
Wir erfahren über Katja zunächst nichts, abgesehen von ihrem Bedürfnis, aus ihrem winzigen Gefängnis zu fliehen.
Es ist der von Thomas Limpinsel überzeugend verkörperte Fischer, der sofort unsere Aufmerksamkeit auf sich lenkt und eine zugleich entschlossene wie ruhige Ausstrahlung besitzt.
Recht schnell kristalisiert sich heraus, dass sein entspanntes Spiel nicht wirklich den Sturm in seinem Inneren reflektiert:
Er hat Probleme – natürlich persönlicher Natur (wer entführt sonst eine Frau und sperrt sie in seinem Haus ein?), aber auch finanzieller.
Da gibt es zwielichtige Leute, die ihm gewaltig Dampf unter dem Kessel machen. Sie wollen Geld, das er nicht hat. „Noch nicht“...wir kennen doch alle diese Leute, die die Rückzahlung ihrer Schulden immer auf den nächsten Tag verschieben?! Fischer ist so einer.

Dabei ist er durchaus intelligent.
Auch als Antagonist der Story bleibt er die Person, mit der wir letztlich den kritischen Blickwinkel (nicht die Sympathie, das ist ein Unterschied!) auf das Geschehen teilen.
Wenn seine „Muse“ einen weiteren Versuch unternimmt, sich aus ihrer Lage zu befreien, ist er in der Regel schon zwei Schritte weiter - eben wie wir Zuschauer.
Ihre unterwürfigen Anbiederungen hat er ebenfalls durchschaut, auch wenn er sich selbst spätestens jetzt die Sinnlosigkeit seines Vorhabens eingestehen müsste:
Freiwillige Opfer, die gibt es im wahren Leben nicht. Oder steckt in Wahrheit doch mehr hinter der Geschichte, die er mühsam vor sich hintippt?

Henriette Müller verleiht Katja eine natürliche Hilflosigkeit, wie man sie aus anderen, thematisch ähnlich gelagerten, Werken weniger kennt.
Sie hat zunächst keinen besonderen Plan, wie sie aus ihrer Zwickmühle gelangen soll - sie ist nicht schlauer als ihr Gegenüber.
Als ihre ersten Fluchtversuche scheitern, sorgt sie dafür, die Ruhe zu bewahren und sich körperlich fit zu halten. Niemand überlistet in der Realität unter einem Nervenzusammenbruch und mit erschlafften Muskeln einen Gegner, der schon von seiner Statur überlegen ist. Auch wenn wir das möglicherweise aus dem Kino so gewohnt sind.

Nur, was ist nun Katjas Geheimnis – warum wollte Fischer nur sie?

Im späteren Verlauf fragt sie ihn, worum es überhaupt in der Geschichte gehe. Eine berechtigte Frage.
„Die Suche nach Unschuld“, erwidert er, darum gehe es bei ihm immer. Dafür sei er auch bereit, sein eigenes Martyrium zu riskieren.

Christian Genzels Film ist nun auch ein Kommentar darüber, wie sich Künstler selbst – bewusst oder unbewusst – in ihr Werk einbringen.
Man hinterlässt Fingerabdrücke bei der Bearbeitung, drückt seinen persönlichen Stempel auf.
Und die Frage stellt sich dann, wie man anschließend mit harscher Kritik umgeht, wenn nun so viel von einem selbst in der Arbeit steckt - dass sich die negativen Stimmen gegen die eigene Person richten.
Vielleicht benötigt Fischer am Ende deshalb seine „Muse“ - um sich zu schützen, sich in seiner bloßen Beobachter-Rolle abzuschotten?

„Die Muse“ ist natürlich auch ein spannender, psychologischer Thriller - ein Katz-und-Maus-Spiel in einem klaustrophobischen Umfeld.
Mich hat hier aber mehr noch interessiert, wie der Film andere Werke - und auch sich - reflektiert.
Ich mag Filme, die mir eine weitere Ebene, als bloßen Nervenkitzel oder Action, anbieten.

So ein Werk liegt mit „Die Muse“ vor.



DIE MUSE (Deutschland/Österreich, 2011)
Regie: Christian Genzel
Drehbuch: Christian Genzel
Kamera: Oliver Froeschke
Musik: Axel Tenner
Produktion: Ghost Light Productions, High5Films
Darsteller: Henriette Müller, Thomas Limpinsel, Jean-Luc Julien
Länge: 90 min.
Website: http://diemuse-derfilm.de/
FSK: ab 16 Jahren

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